Wasserstoff ist kein Champagner
Wasserstoff ist in der öffentlichen Debatte schon vieles gewesen: blau, türkis, grün, weiß, teurer Champagner, überbewerteter Hype oder ein Schweizer Taschenmesser. Peter Wasserscheid, Professor für chemische Reaktionstechnik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Direktor am Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg für erneuerbare Energien und Sprecher des Helmholtz-Clusters Wasserstoff (HC-H2), etabliert im Interview eine andere Sichtweise: Selbst, wenn grüner Wasserstoff heute noch vergleichsweise teuer ist, widerspricht das nicht der grundlegenden Bedeutung des Moleküls für das Energiesystem der Zukunft.
Was ist Wasserstoff aus Ihrer Sicht – ein überbewerteter Hype oder eine Technologie mit Lösungen für fast alles?
Peter Wasserscheid: Ein Hype ist Wasserstoff eigentlich nirgendwo. Wir haben mit dem Klimawandel ein großes Problem und mit der Energiewende eine riesige Aufgabe auf einer globalen Skala zu lösen. Das kann dazu führen, dass Menschen, die sich nicht jeden Tag mit Technologieentwicklung beschäftigen, die Hoffnung hegen, dass eine einzige Innovation alle Probleme aus dem Weg räumen könnte. In Wirklichkeit ist es aber die Aufgabe der Wissenschaft herauszufinden, für welche Anwendung und unter welchen Randbedingungen eine bestimmte Technologie sinnvoll verwendbar ist und wo eben nicht. Wasserstoff wird sich neben den Stromnetzen und Batteriespeichern als eine der tragenden Säulen etablieren, ohne die das Energiesystem der Zukunft nicht stabil und kostengünstig funktionieren kann. Wir brauchen alle diese Säulen, sie ergänzen sich sinnvoll gegenseitig.
Weißer Wasserstoff
Im vergangenen Jahr wurden größerer Mengen an natürlich entstandenem Wasserstoff, dem sogenannten weißen Wasserstoff, im französischen Lothringen gefunden. Ist das ein Anlass, um die Champagner-Korken knallen zu lassen?
Peter Wasserscheid: Bei jeder Wasserstoff-Technologie ist es sinnvoll, zu prüfen, wie sie in ein nachhaltiges Energiesystem eingebunden werden kann. Weißer Wasserstoff muss nicht erst mit zusätzlichen Kosten aus erneuerbarem Strom hergestellt werden, sondern er stammt wie Erdgas aus einer geologischen Quelle. Bei seiner energetischen Nutzung entsteht im Unterschied zur Erdgasverbrennung aber kein Kohlenstoffdioxid (CO2). Das ist ein großer Vorteil. Lange hat man geglaubt, dass es natürliche Wasserstofflagerstätten nicht in relevantem Umfang gibt. Jetzt hat man einige Quellen gefunden und man versteht immer besser, wo man danach suchen muss. Es ist daher wahrscheinlich, dass weitere Quellen in den nächsten Jahren gefunden werden. Das kann – falls die Wasserstoff-Mengen groß genug und die Erreichbarkeit der Lagerstätten vernünftig machbar ist – ein Impuls sein, der die Transformation unseres Energiesystems nach vorne bringt. Aber wie eben schon erwähnt gibt es nicht die eine Lösung für alle Probleme, selbst wenn wir schnell große nutzbare Mengen an weißem Wasserstoff fänden.
Die Farben des Wasserstoffs
In welchen Bereichen sollten wir anfangen, Wasserstoff in großem Stil einzusetzen? Wer wird als erster bedient, wer muss noch warten?
Peter Wasserscheid: Die Denkweise, dass Wasserstoff erstmal teuer und rar wie Champagner sein wird und deswegen zugeteilt werden muss, ist aus meiner Sicht nicht wirklich überzeugend. Es wird immer besser absehbar, dass um 2030 herum ein größeres Angebot an Wasserstoff und Wasserstoffträgern zu konkurrenzfähigen Preisen zur Verfügung stehen wird, entweder über den Import oder aus heimischen Elektrolyseuren, die gerade geplant oder schon gebaut werden. Wir sind also bereits in einem Prozess, eine deutlich größere Wasserstoffverfügbarkeit aufzubauen. Man könnte den Transformationsprozess mit dem Bau eines Hauses vergleichen. Solange das Haus im Bau ist, ist der Wohnraum nicht vorhanden und knapp. Aber wenn das Haus steht, dann gibt es schlagartig verfügbare Wohnfläche und diese Entwicklung ist schon während des Hausbaus absehbar. Wer nach der Fertigstellung einziehen darf, hängt davon ab, zu welchem Preis der Wohnraum angeboten wird und wer bereit ist, diesen Preis zu zahlen. Genauso wird das mit der Wasserstoffverfügbarkeit auch sein. Wenn signifikante Wasserstoffmengen auf dem Markt sind, entscheidet das Gebot des Käufers darüber, wer den Wasserstoff bekommt.
Champagner – ja oder nein?
Das ist aber kein Widerspruch zur Aussage, dass Wasserstoff der Champagner der Energiewende ist, oder?
Peter Wasserscheid: Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die sagen, dass Wasserstoff der Champagner der Energiewende ist. Dieser Vergleich legt nahe, dass Wasserstoff langfristig teuer bleiben wird und deshalb ausschließlich da zum Einsatz kommen darf, wo es überhaupt keine andere nachhaltige Lösung gibt. Diese Ansicht teile ich nicht. Natürlich sind die Preise beim Hochlauf einer Technologie höher als im späteren Vollausbau. Aber selbst im Hochlauf kann man in Spezialanwendungen schon wirtschaftliche Vorteile erzielen, wenn z. B. spezielle Kunden Wert darauf legen, eine Vorreiterrolle einzunehmen und deswegen bereit sind, für ein klimafreundliches Produkt tiefer in die Tasche zu greifen. Diese Kunden sorgen dafür, dass der Markt hochläuft und die Preise in Zukunft sinken.
Jetzt ist es unsere Aufgabe, mit Entwicklung, internationalen Partnerschaften und dem konsequenten Ausbau eines regenerativen Energiesystems dafür zu sorgen, dass der Marktpreis für Wasserstoff möglichst schnell sinkt und für viele Anwendungsbereiche und Kunden interessant wird. Wenn die Produktions- und Speicherkapazitäten bei uns größer geworden sind und wir mehr Wasserstoff importieren, dann wird der angebliche Champagner immer mehr zum Mineralwasser der Energiewende.
Wo ergibt Wasserstoff Sinn?
Sie haben Importe angesprochen. Es gibt Stimmen innerhalb der Wissenschaft, die so gut wie nie über das Thema reden. Stattdessen kritisieren sie, dass Erneuerbare Energien in Deutschland viel schneller ausgebaut werden müssen.
Peter Wasserscheid: Ich halte den Gedanken, dass wir mit der erneuerbaren Energieerzeugung in Richtung einer Energie-Autarkie gehen sollten, für grundsätzlich falsch. Es funktioniert nicht, wenn wir auf der Energieseite autark werden wollen und auf der anderen Seite Exportweltmeister bleiben wollen. Wir müssen irgendwem auch mal Geld geben, damit sich Menschen in unseren Partnerländern deutsche Maschinen und Autos kaufen können und wollen. Und warum sollten wir darauf verzichten, günstigere Erneuerbare Energie in Form von speicherbarem Wasserstoff oder Wasserstoffderivaten in anderen Ländern einzukaufen und damit unsere stark schwankende erneuerbare Stromerzeugung zu ergänzen und zu stabilisieren?
Die im Juli vom Bundeskabinett beschlossene Importstrategie für Wasserstoff greift genau das auf. Deutschland positioniert sich damit als verlässlicher Geschäftspartner im Handel mit Ländern, die grünen Wasserstoff günstiger herstellen können. Die Importstrategie sendet außerdem ein Signal, dass die heimische Wirtschaft, die Wasserstoff in Zukunft dringend brauchen wird, auch mit entsprechenden Mengen aus Import und heimischer Produktion rechnen kann.
Das Haus der Energiewende
Ist es nicht trotzdem sinnvoll, die Erneuerbaren Energien in Deutschland weiter auszubauen?
Peter Wasserscheid: Ein weiterer Ausbau ist sinnvoll, aber er führt alleine nicht zu einem stabilen System. Wir haben jetzt schon Tage, an denen wir mehr Erneuerbare Energie zur Verfügung haben als unser System aufnehmen kann. Dann stellen wir unsere Windräder ab, obwohl viel Wind weht. Dagegen fällt die Versorgung aus Sonnenenergie im Winter drastisch ab. Wenn die Energiewende ein Haus ist, dann ist die regenerative Erzeugung das Fundament. Es ist völlig klar, dass wir ohne Fundament kein Haus bauen können. Auch klar ist aber, dass kein Haus entsteht, nur weil ich das Fundament immer größer mache. Man muss auf das Fundament ein Haus bauen. Im Falle des Energiesystems brauchen wir dafür Speicher, Wandler, Reservekapazitäten und Transportmöglichkeiten, um das Haus der Energiewende stabil zu errichten. Und da spielt der Wasserstoff eine entscheidende Rolle.
Prof. Dr. Peter Wasserscheid, der Sprecher des HC-H2 und Gründungsdirektor des Instituts für nachhaltige Wasserstoffwirtschaft am Forschungszentrum Jülich. Foto: Forschungszentrum Jülich/Jansen
Wenn Sie jetzt der Baumeister des Hauses Energiewende in Deutschland wären – wie sähe Ihr Plan aus?
Peter Wasserscheid: Es gibt andere sehr wichtige Baumeister: Die Politik beeinflusst den Bau durch Rahmenbedingungen, und ohne Unternehmen mit ihren Investitionsentscheidungen kommt der Bau auch nicht voran. Als Wissenschaftler suche ich nach besseren und kostengünstigeren Möglichkeiten, die bekannten Herausforderungen zu lösen. Ich bin überzeugt davon, dass wir bereits genug Wissen und Technologie haben, um die Energiewende dynamisch voranzutreiben. Aber wir haben nicht genug, um sagen zu können, dass wir für jedes Problem schon jetzt die beste Lösung gefunden haben. Die Energiewende bleibt aus technologischer Sicht ein hochdynamischer Prozess, der im weltweiten Wettbewerb stattfindet und große unternehmerische Chancen bietet.
Wichtig ist, dass man Ziele vorgibt und keine Wege, so dass ein Wettbewerb der besten Konzepte möglich ist. Und dass wir den Markt in die Suche nach dem besten Weg einbinden. Es wird nicht möglich sein, die globale Energiewende über staatliche Verbote und Vorgaben zu erzwingen. Wir können sie auch nicht herbeifördern oder herbeisubventionieren. Wichtig sind funktionierende Geschäftsmodelle, die für private Kapitalgeber interessant sind. Nur so können wir auf einer globalen Dimension klimarelevante Effekte erzielen.
Teilen Sie die Ansicht, dass das öffentliche Interesse an Energiethemen in den letzten Monaten spürbar abgenommen hat?
Peter Wasserscheid: Ich habe ja schon betont, dass ich das Vorhaben Energiewende als Aufgabe ansehe, die sich in der notwendigen globalen Dimension auf eine oder zwei Generationen erstreckt. Ereignisse wie internationale Krisen und Kriege verschieben leicht die Wahrnehmung und rücken andere Probleme in den Fokus. Die Klimakrise ist aber kein temporäres lokales Ereignis, sondern eine globale Krise, die zweifelsfrei naturwissenschaftlich nachweisbar ist und deren Folgen wiederkehrend sehr deutlich spürbar werden. Deswegen werden die Klimakrise und die Notwendigkeit zur Energiewende immer wieder mit steigender Intensität auf die politische Agenda zurückkehren. Dann werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gerne nach Lösungen gefragt, die sofort greifen. Diese Lösungen sind aber nur dann vorhanden, wenn die Gesellschaft das Problem deutlich vorher erkannt und die Politik deutlich vorher die Weichen richtig gestellt hat, sodass die Wissenschaft kontinuierlich daran arbeiten konnte. Deswegen sehe ich die Bedeutung unserer Arbeit nicht als geringer an, nur weil die mediale Aufmerksamkeit gerade auf andere Themen gerichtet ist.
Klimaforschung auf höchstem Niveau
Wie beeinflussen die Ergebnisse aus der Klimaforschung Ihre Arbeit?
Peter Wasserscheid: Ich bin kein Klimaforscher. Wenn ich zum Beispiel an einem klimaneutralen Schiffsantrieb arbeite, dann weiß ich zwar, dass das einen positiven Beitrag im Kampf gegen die Klimakrise leisten kann. Aber wie genau dieser Beitrag bei einer bestimmten Nutzung der neuen Technologie aussieht, kann ich selbst nicht bestimmen. Allerdings haben wir im Forschungszentrum Jülich eine Klimaforschung auf höchstem Niveau und zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen dort können wir die Dinge im Zusammenhang sehen und positive Auswirkungen von Technologieentwicklungen auf das Klima im Falle einer umfassenden Anwendung auch vorhersagen. Das bietet einzigartige Chancen und liefert sehr wichtige neue Erkenntnisse.
Zum Thema: Das INW und das HC-H2
Das Helmholtz-Cluster für nachhaltige und infrastrukturkompatible Wasserstoffwirtschaft (HC-H2) hat zwei große Ziele: Wir wollen zeigen, wie wichtig und alltagstauglich Wasserstoff als klimaneutraler Energieträgerer sein kann, damit die Welt auf das Verbrennen von fossilen Energieträgern verzichten kann. Zweitens soll das HC-H2 gemeinsam mit seinen Projektpartnern so schnell wie möglich klimafreundliche und wirtschaftlich sinnvolle Technologien für die Energiewirtschaft der Zukunft demonstrieren. Diese neuen Technologien sollen als Gegengewicht zum Braunkohleausstieg für neue und nachhaltige Wirtschaftskraft im Rheinischen Revier sorgen. Das HC-H2 ist aus dem Institut für nachhaltige Wasserstoffwirtschaft (INW) des Forschungszentrums Jülich hervorgegangen, welches das Cluster nachhaltig trägt.